#09 – Patriarchat (feat. Gandalf Lipinski)

In dieser Folge analysieren ASHTY & MARIUS mit Gandalf Lipinski das Wesen und die Historie unserer derzeitigen Gesellschaftsordnung

Quellen

[1] Definition Patriarchat

„Denn Patriarchat bedeutet wörtlich „am Anfang der Vater“, „Vater-Ursprung“ bzw. „Vater-Gebärmutter“. Denn das Wort arché, das in Patriarchat und Matriarchat enthalten ist, heißt in seiner ältesten Bedeutung „Anfang, Ursprung, Gebärmutter“ – und eben nicht, wie erst viel später in patriarchaler Zeit, „Herrschaft“.

[…]

„Patriarchat ist für mich […] ein theoretisches Grundkonzept für das Verständnis der Herkunft, Entwicklung und Zukunft unserer gegenwärtigen Gesellschaftsordnung weltweit.“

Claudia von Werlhof: Das Patriarchat als Negation des Matriarchats: zur Perspektive eines Wahns, 2007, S. 4, online, https://www.uibk.ac.at/plattform-wrg/idwrg/idwrg_07.pdf 

„[…] ein System von sozialen Beziehungen, maßgebenden Werten, Normen und Verhaltensmustern, das von Vätern und Männern geprägt, kontrolliert und repräsentiert wird.“

Wikipedia: Patriarchat (Soziologie), online, https://de.wikipedia.org/wiki/Patriarchat_(Soziologie) 

[2] Zu mutterrechtlichen Zivilisationsformen vgl. Folge #07 – Matriarchat inkl. Quellen

[3] Zur Primär- und Sekundärpatriarchalisierung vgl. Folge #08 – »Urkatastrophe« inkl. Quellen

[4] Zum (vermeintlichen!) Zusammenhang von gesellschaftlicher Komplexität und hierarchischer Schichtung  

„Die weitverbreiteten Vorstellungen zur Zivilisationsgeschichte, die zwischen steigender gesellschaftlicher Größe und Komplexität einerseits und den Formen einer Elitenherrschaft andererseits einen notwendigen, gleichsam gesetzhaften Zusammenhang suggerieren, sind auf der Basis vorliegender Befunde empirisch nicht haltbar. Derartige Vorstellungen beruhen selbst lediglich auf Projektionen gegenwärtiger ideologischer Vorurteile über gesellschaftliche Organisation auf frühere Phasen der Zivilisationsgeschichte.“

Rainer Mausfeld: Hybris und Nemesis. Wie uns die Entzivilisierung von Macht in den Abgrund führt – Einsichten aus 5000 Jahren, 2023, S. 107-110

„Es hat jedoch zeitlich weit früher, nämlich im Neolithikum, schon große Städte gegeben, die ohne diese patriarchalen Muster ausgekommen sind, wie z.B. die Stadt Catal Höyük in Anatolien und die ausgedehnten Städte der Tripolje-Kultur in der Ukraine. Älter und größer als die frühen sumerischen Städte zeigen sie keine Anzeichen von Hierarchie und zentraler Verwaltung. Stattdessen sind sie ausgezeichnete Beispiele für die Komplexität und Effektivität der egalitären Selbstverwaltung der darin wohnenden Clans.“

Heide Göttner Abendroth: Das Matriarchat – Geschichte matriarchaler Gesellschaften und Entstehung des Patriarchats. Band III: Westasien und Europa, 2019, S. 284

– Zur ‚matriarchalen‘ Städte-Kultur (Cucenti-Tripolje-Kultur, Çatalhöyük und Indus-Kultur) vgl. auch Rainer Mausfeld: Hybris und Nemesis. Wie uns die Entzivilisierung von Macht in den Abgrund führt – Einsichten aus 5000 Jahren, 2023, S. 107-110

[5] Frühe Staatenbildung: Zur Entstehung der Mesopotamischen Stadtstaaten

„Bei den ersten Großsiedlungen und Städten hingegen, die in Mesopotamien entstanden, finden sich klare Belege für starke soziale Schichtenbildung, für Hierarchien und für große Wohlstandsunterschiede. Zu den bedeutendsten dieser Städte, die ein weitgespanntes Handelsnetz unterhielten, gehörte Uruk […].

In Uruk, einem Zentrum der sumerischen Welt, das viele handwerkliche, landwirtschaftliche, stadtarchitektonische und waffentechnische Innovationen hervorbrachte, wurde vermutlich um das Jahr 3300 v.u.Z. die Keilschrift erfunden. Mit dieser und anderen Innovationen ging eine wachsende Arbeitsteilung einher und es entstanden verschiedene Kasten zur Verwaltung, Kriegsführung und Kommunikation mit dem Übernatürlichen, also der Welt der Geister und Götter. Die Entwicklung der Schrift ging, da nur eine kleine Minderheit darin kundig war, Hand in Hand mit der Entstehung einer bürokratischen Klassenherrschaft. Erst das Medium der Schrift ermöglichte, Herrschaft über ein weit ausgedehntes Gebiet zu verfestigen und zeitlich zu stabilisieren. […] 

Das Zentrum dieses Systems einer Umverteilung des von den Untertanen erwirtschafteten Überschusses auf kleine nichtproduzierende Eliten bildete der königliche Hof. Durch ihn erfolgte eine Bürokratisierung und Monopolisierung der Verwaltung und Verteilung des erarbeiteten Überschusses – also der Erträge, die nicht zum unmittelbaren Gebrauch bestimmt waren, sondern zum Handeln und zur Rücklage für weniger ertragreiche Zeiten.

Im Schnittpunkt von politischer und ideologischer Macht entwickelte sich eine Priesterkaste, an deren Spitze zuerst der »Priesterkönig«, dann der König stand. In Mesopotamien scheinen die Anfänge des Königtums irgendwann im 3. Jahrtausend v.u.Z. zu liegen. […] 

Um ihre Autorität ideologisch zu legitimieren und sich selbst eine Sonderstellung als Vermittler zwischen der irdischen Welt und der Welt der Götter zuzuschreiben, mussten sie die unerschöpfliche Vielfalt lokaler traditioneller Riten und Vorstellungen über die Sphäre der Geister und Götter und über die Kommunikation mit ihnen zentralisieren und bürokratisieren, also in ein verbindliches hierarchisches Ordnungs- und Regelsystem bringen. […]

Auch wenn der König seine Macht von einer Gottheit ableitete, musste er sie in weltlichen Formen und an weltlichen Orten ausüben. Zu diesem Zweck schuf er eigene Regelwerke und delegierte deren Ausführung und Einhaltung an dazu eigens installierte Personen, die er mit entsprechenden Aufgaben und Vorrechten ausgestattete. Damit entstand eine Bürokratie als eine administrative Klasse zur Ausübung und Sicherung von Macht.

Auf diese Weise wurde die Macht immer zentralisierter und hierarchischer organisiert und war nicht mehr, wie in früheren Großsiedlungen, zwischen lokalen Führern verteilt. Macht wurde zunehmend institutionalisiert.

Öffentliche, oft monumentale Räume mit kodifizierten Funktionen und Merkmalen wurden geschaffen, in denen die Herrscher und die ihnen untergeben Bürokratie ihre Funktionen ausübten. Die Palastdynastie bildete das Zentrum der politischen, wirtschaftlichen und militärischen Macht, was auch in der Stadtarchitektur seinen Ausdruck fand.

Mit der Entstehung einer zentralisierten Bürokratie und der Kontrolle über Ressourcen und Handel entwickelten große mesopotamische Städte bereits Merkmale von Staatlichkeit. […] 

Ein Staat ist gekennzeichnet durch eine Führungselite (in Mesopotamien zumeist einen König), eine spezialisierte Verwaltungsbürokratie zur Organisation von Produktion, Verteilung und Handel, eine feste soziale Hierarchie sowie durch die Macht der Erhebung und Verteilung von Steuern.

In den ersten Stadtstaaten bestand die Voraussetzung einer Steuerhebung darin, dass Reichtum in Form von aneignungsfähigen und messbaren Ernteerträgen vorlag. Erst die Form des Staates machte es möglich, dass parasitäre Eliten sich in berechenbarer Weise den von der Bevölkerung durch Landwirtschaft erzielten Überschuss aneignen konnten und damit zugleich die zur Stabilisierung ihrer Herrschaft nötigen Schichten von »Nichtproduzenten ernähren und binden konnten: Beamten, Handwerker, Soldaten, Priester, Aristokraten«.

Ein Staat ist in der Regel dadurch gekennzeichnet, dass er ein zentralisierter, bürokratisierter und territorial abgegrenzter Herrschaftsapparat ist und über ein Heer sowie Grenzbefestigungen verfügt. Für den frühen Staat ebenso kennzeichnend war die ausgiebige Nutzung unfreier Arbeit durch Kriegsgefangene, Zwangsarbeiter, Schuldsklaven oder gekaufte Sklaven. Frühe Staaten waren darauf angewiesen, genügend Menschen am Zentrum der Macht anzusiedeln und diese einen Überschuss über ihre eigenen Bedürfnisse hinaus produzieren zu lassen. »Staaten zielen«, wie der Altorientalist Seth Richardson schreibt, »darauf ab, ›unbefriedete‹, ›verstreute‹ Menschen zusammenzuführen und nichtstaatliche Abhängige durch Gewalt und Überredung in einer staatlichen Ordnung einzuhegen.« […]

Der von einem Staat auf seine Untertanen ausgeübte Zwang, Überschuss für kleine nichtproduzierende Eliten zu schaffen, stand in einem Spannungsverhältnis zu den traditionellen Produktionsformen in nicht zentral organisierten Gemeinschaften. Bei der häuslichen Produktionsweise gab es keinen Grund, die Produktivität über das für den Bedarf Hinausgehende zu steigern und einen Überschuss zu produzieren, den sich parasitäre Eliten aneignen können. […]

Da die früheste Staatenbildung also weitgehend auf einer Ausübung von Zwang basierte, erzeugte sie unvermeidbar Tendenzen in der Bevölkerung sich diesen Zwängen zu entziehen, die Stadt zu verlassen und irgendwo wieder zu einer häuslichen Produktionsweise zurückzukehren. Eine solche Rebellion durch eine »Abstimmung mit den Füßen« würde aber die Basis für Einnahmen des Staates und damit seine Existenz gefährden. […]

[»] Erst sehr viel später, als die Welt sozusagen vollständig besetzt war, als die Produktionsmittel sich in privatem Eigentum befanden oder von staatlichen Eliten kontrolliert wurden, genügte die Kontrolle von Produktionsmitteln (Boden), um ohne Rückgriff auf institutionellen Zwang einen Überschuss zu erzeugen.«“

Rainer Mausfeld: Hybris und Nemesis. Wie uns die Entzivilisierung von Macht in den Abgrund führt – Einsichten aus 5000 Jahren, 2023, S. 110-114

– vgl. dazu auch Heide Göttner Abendroth: Das Matriarchat – Geschichte matriarchaler Gesellschaften und Entstehung des Patriarchats. Band III: Westasien und Europa, 2019, S. 283-294

[6] Frühe Staatenbildung: Zur Entstehung des Ägyptischen Reiches

„Im Einzugsbereich des Nils zogen am Ende der Jungsteinzeit und der Kupfersteinzeit und mit dem Übergang zur Bronzezeit um 3600 v.u.Z. immer mehr halbnomadischen Hirtengemeinschaften ins Niltal und ließen sich dort nieder. Durch die jährliche Überflutung des Nils, die regelmäßig neue Schichten an fruchtbarem Boden entlang der Flussufer mit sich brachte, und die ansonsten herrschende Trockenheit konnte Landwirtschaft im Niltal nur auf der Basis eines ausgefeilten Systems von Kanälen und Wasser- und Getreidespeichern betrieben werden. Um dies zu organisieren, schlossen sich die Dörfer im oberägyptischen Niltal zunehmend zu Stammesfürstentümern zusammen, aus denen sich dann später erste staatenähnliche Gebilde in verschiedenen Zentren bildeten.

Diese Gebilde waren organisiert um lokale Eliten, die miteinander um Ressourcen und Macht kämpften. Im späten 4. Jahrtausend entstanden hieraus zwei Königreiche in Ober- und Unterägypten.

In anderen frühen Kulturen wandelten sich die frühesten gesellschaftlichen Einheiten allmählich zu größeren politischen Einheiten, die sich meist auf Stadtstaaten konzentrierten und mit der Zeit in Territorialstaaten übergingen. In Ägypten jedoch vollzog sich innerhalb von wenigen Jahrhunderten ein rascher Übergang von Dorfgesellschaften und Stammesfürsten-tümern hin zu einem großen Einheitsstaat. Hier entstand in einer relativ kurzen heftigen Entwicklung zwischen 3100 und 2700 v.u.Z. der erste große Flächenstaat in der Geschichte der Menschheit. Mit der Vereinigung Unterägyptens, das die von den sieben Armen des Nils durchzogene Gegend des Mündungsdeltas des Nils von Kairo bis zum Mittelmeer umfasste, und Oberägyptens, das sich beiderseits des Nils vom heutigen Assuan bis zu einer Gegend etwa hundert Kilometer südlich von Kairo erstreckte, wurde im Jahr 2950 v.u.Z. mit dem pharaonischen Zentralstaat ein zentral bürokratisch organisierter Staat mit einheitlicher Sprache, Religion und Kultur geschaffen. Dieser Staat erstreckte sich über mehr als tausend Kilometer von Norden nach Süden und umfasste eine Bevölkerung von rund einer Million Menschen. Er war damit größer als die etwa zwanzig untereinander konkurrierenden mesopotamischen Staaten zusammengenommen. Er wird als der erste Nationalstaat der Welt angesehen. Überhaupt gilt das Konzept des Nationalstaats als eines politischen Territoriums, dessen Bevölkerung eine gemeinsame Identität hat, als eine Erfindung der alten Ägypter. Dieser erste Nationalstaat wies bereits wesentliche Merkmale des Staates auf, wie sie auch für die Moderne bestimmend sein sollten.

Dazu gehörten verschiedene Formen institutionalisierter Gewalt ebenso wie die Verfügbarkeit eines ideologischen und – in der Form von Ikonographie und Monumentalarchitektur – medialen Apparates. Der erste ägyptische Territorialstaat wies eine ausgeprägte soziale Differenzierung auf, insbesondere finden sich eine zentrale Machtelite und unterschiedliche Funktionseliten mit eigenständiger Elitenkultur, die sich von der breiten Bevölkerung absetzten. Davon legen auch die aufwändig gestalteten Elitenfriedhöfe Zeugnis ab.

In Ägypten gelang es in vergleichsweise kurzer Zeit, eine Vielzahl von Regionen und von Völkern unter einem einzigen Monarchen zu vereinen und eine einzigartige, auf sich selbst bezogene Kultur mit einer eigenen ägyptischen Identität zu schaffen. Dies war die Grundlage für eines der langlebigsten Staatsgebilde der antiken Welt, Ihre erste große Blütezeit hatte die ägyptische Hochkultur in der Zeit des sogenannten Alten Reiches zwischen 2850 und 2190 v.u.Z., an dessen Beispiel hier einige relevante Aspekte der Entstehung von Macht und Gegenmacht illustriert werden sollen. In der Zeit zwischen 2620 und 2500 v.u.Z. wurden auch die Pyramiden von Gizeh gebaut, die ältesten erhaltenen Bauwerke der Menschheit. Fast 700 Jahre lang regierten Pharaonen mit der Autorität eines Gottes.

Sie verstanden sich nicht lediglich als Stellvertreter eines Gottes, sondern als die irdische Inkarnation der höchsten himmlischen Gottheit der ägyptischen Mythologie, nämlich Horus. Im Körper des Königs wurde diese unsterbliche Gottheit verkörpert und personifiziert. Durch die Krönung zum König Ägyptens nahm ein Herrscher den Titel »Lebender Horus« an, was gewaltige politische Konsequenzen hatte. Denn wenn der König nicht, wie in der überwiegenden Zeit in Mesopotamien, nur der Vertreter der Götter auf Erden war, sondern eine Verkörperung der Göttlichkeit selbst, konnte sein Amt nicht in Frage gestellt werden, ohne die gesamte komische Ordnung zu zerstören. Das Modell pharaonischer Herrschaft blieb, nur kurzzeitig unterbrochen von Phasen der Dezentralisierung und politischer Instabilitäten, über drei Jahrtausende erhalten. Diese frühe und schnelle Entwicklung sowie die langen Phasen, in denen die pharaonische Macht immens und nahezu unangefochten gewesen zu sein scheint, sowie die außergewöhnliche Stabilität des ägyptischen Staates müssen im Vergleich zu anderen frühen Staatenbildungen auf Besonderheiten basieren, die eine solche Dynamik und das nahezu vollständige Fehlen der Entstehung wirksamer Gegenmacht erklären können.Bei der Entwicklung pharaonischer Ideologie und der Etablierung pharaonischer Herrschaft zeigte sich, Michael Mann zufolge, »eine weitaus schnellere Verbesserung der Machttechniken, als wir sie in Mesopotamien gefunden haben, oder in irgendeiner anderen ursprünglichen Zivilisation«.“

Rainer Mausfeld: Hybris und Nemesis. Wie uns die Entzivilisierung von Macht in den Abgrund führt – Einsichten aus 5000 Jahren, 2023, S. 123-125

[7] Erster Höhepunkt des Patriarchats: Römisches Reich

„Rom bildet den ersten Höhepunkt des Patriarchates. Rom steht für die Verfeinerung seiner Herrschaftstechniken. Statt Keule, Schwert und eiserne Fußfesseln, werden nun       unsichtbarere Ketten eingesetzt: Das Geld und Verrechtlichung des Besitzes tragen auch dazu bei, dass die äußerlichen Machtverhältnisse zunehmend verinnerlicht werden. Im Laufe der Zeit halten immer mehr Menschen diese Form der auf dem Kopf stehenden Zivilisation für normal, schon immer so gewesen oder unabänderlich. […]

  • Wo früher das Individuum in der sozialen Sicherheit der blutsverwandten Sippe gleichermaßen Halt, wie auch persönliche Freiheit fand, existiert nun die patriarchale Paarungsfamilie: früher mehrere, später eine Frau gehört einem Mann. Auch die Kinder (früher der Großfamilie, heute der Kleinfamilie), die Sklaven, das Vieh, das Land, das Haus und andere Besitztümer gehören (als res familia) dem Ehemann, Vater und Familienbesitzer. Als „res publica“ wird dagegen bezeichnet, was nicht einem einzigen sondern der privilegierten Klasse der Famlienbesitzer gemeinsam gehört! Der Vater hat in allen Dingen das letzte Wort, sogar über Tod und Leben. Die Frau wurde der sozialen Geborgenheit ihrer Sippe entrissen (zu deren Kultur auch das „Bemuttern der Mütter“ gehörte) und muss nun isoliert als Fremde dem Haushalt ihres Gatten vorstehen.
  • Wo früher das „Eigentum“ an Lebensgrundlagen unbekannt war, (was wir mit unseren heutigen Begriffen als Gemeinschaftseigentum, Almende und Gemeinschaftsökonomie bezeichnen können), wo man früher gemeinsam für das Auskommen der ganzen Sippe sorgte, ist nun jeder auf sich gestellt und muss für das eigene Überleben sorgen. Familienvater kann nur der sein, der über genug Kapital verfügt, seine Familie auch ernähren zu können. Dazu braucht er Privateigentum (privare heißt auf Latein: rauben).
  • Wo früher der Stamm als freiwilliger Zusammenschluss der Sippen existierte, der den einzelnen Gruppen bei ihren Lebensinteressen diente, steht nun der Staat als eine über allem stehende zentrale Kontrollinstanz, die das Zusammenleben der Menschen regelt. Egal, ob an seiner Spitze ein König, Hohepriester, Tyrann, Imperator oder eine, untereinander „Demokratie“ praktizierende, Oligarchenclique steht; wer nicht zum innersten Kreis der Macht gehört, hat künftig zu gehorchen.
  • Wo früher eine weitestgehende Egalität herrschte, teilt sich die Gesellschaft nun in Herrscher und Sklaven. Das Prinzip der Herrschaft von Menschen über Menschen bringt eine sich immer mehr differenzierende Klassenpyramide hervor. Aus den Kriegern der ersten Erzwingungsstäbe geht die Aristokratie um die Herrscher hervor. Mittelschichten aus Beamten und Händlern entstehen und müssen dauerhaft in Angst leben, ihre bescheidenen Privilegien zu verlieren und abzusteigen. Die Sklaven sind in der Antike auch körperlich Eigentum eines anderen, werden im Mittelalter zu Leibeigenen und in unseren Tagen zu Lohnabhängigen (Sklaven, die sich nun auch um ihren optimalen Verkauf und ihre Ernährung selbst zu kümmern haben).
  • Wo früher Frieden über Jahrtausende der Normalzustand war, ist es nun der Krieg. Raub und Krieg bilden die Basis jeder patriarchalen Politik und Wirtschaft, unabhängig davon, wie die offizielle Ideologie des jeweiligen Systems sie umschreibt.
  • Wo früher die Natur als Mitwelt und auf Augenhöhe gesehen wurde, ist sie nun zu einem seelenlosen Rohstofflager geworden, das beliebig ausgebeutet werden darf.
  • Wo früher das Leben selbst als heilig galt, mütterliches Versorgen und Verschenken verehrt wurden, die Sexualität und der Schoß der Frauen als heilig galt, wird heute alles als Ware oder Dienstleistung zu Produkten gemacht, deren Bestimmung darin liegt, mit ihnen Geld verdienen zu können. Die Einheit in Vielfalt der matriarchalen Zivilisation wich erst der psychologisch verkleinernden Vielgötterei des frühen Patriarchates, dann den monotheistischen Theologien zur Rechtfertigung von Herrschaft und heute der immer banaler werdenden Anbetung des global einzigen Gottes: Mammon!
Gandalf Lipinski: Jenseits des Patriarchats für eine Gesellschaft in Balance. Balance-Broschüre, 2022, S.16-17

– vgl. dazu auch Bernd Hercksen: Vom Urpatriarchat zum globalen Crash?: Der Aufstieg einer verkehrten Welt und die Suche nach der richtigen, 2010, S. 124ff. 

– vgl. dazu auch Ernest Bornemann: Das Patriarchat: Ursprung und Zukunft unseres Gesellschaftssystems, 2015, S. 347ff. 

[8] Exkurs: Konzil von Nicäa

„Das Erste Konzil von Nicäa wurde von Konstantin I. im Jahre 325 n. Chr. in Nicäa (heute İznik, Türkei) bei Byzantion (heute Istanbul) einberufen. Zentraler Streitpunkt war die christologische Frage nach der Natur von Jesus und seiner Stellung gegenüber Gott dem Vater und dem Heiligen Geist. […] Das Konzil endete mit dem […] nicänischen Glaubensbekenntnis, das die Göttlichkeit von Jesus und die Wesenseinheit von Gott dem Vater […] bekräftigte.

Wikipedia: Erstes Konzil von Nicäa, online, https://de.wikipedia.org/wiki/Erstes_Konzil_von_Nicäa 

„Der Kaiser, zu diesem Zeitpunkt selber noch kein Christ, hatte es für nötig befunden, dieses Konzil einzuberufen, da das – seit 313 nicht mehr verfolgte – Christentum sich in 80 Sekten aufgespalten hatte und an die hundert Evangelien existierten. Ihre oft blutig ausgefochtenen Streitigkeiten destabilisierten Politik und Gesellschaft erheblich, sodaß sich Konstantin genötigt sah, einzugreifen und aus allen Christentümern dasjenige zu bestimmen, das im Römischen Reich zur Staatsreligion aufsteigen sollte. „Das“ Christentum hat es nie gegeben, es wurde erst durch das Konzil von Nicäa festgelegt. Bis zum 2. Vaticanum beanspruchte das römisch-katholische Christentum die alleinige Deutungshoheit: „nulla salus extra ecclesiam“, kein Heil ausserhalb der Kirche von Rom.

Die wesentlichen Unterscheidungsmerkmale der Christentümer sind: erstens die Anerkennung von Evangelien, in denen sie sich wesentlich unterscheiden. Die von der römisch-katholischen Kirche und dem aus ihr entstandene Protestantismus anerkannten Evangelien sind die Evangelien nach Markus, Matthäus, Lukas und Johannes, doch es gibt noch mindestens 100 andere, die von der Römischen Kirche durch die Bank als Apokryphen – mit dem Unterton „häretisch“ diskreditiert wurden […].“

Dagmar Schatz: Das Konzil von Nicäa – aus allen Christentümern eines ausgewählt, 29.05.2020, online, https://www.dagmarschatz.com/2020/05/29/das-konzil-von-nicäa-aus-allen-christentümern-eines-ausgewählt/ 

[9] Mittelalter

„Nach dem Zusammenbruch des weströmischen Reiches war die „erste patriarchale (und protokapitalistische) Globalisierungsphase“ gewissermaßen erschöpft. Zentrale Herrschaftsmittel und -Strukturen zerfielen. Die Bedeutung des Geldes und des Staates ging im Mittelalter zurück. Damit war das Herrschaftssystem nicht am Ende, aber es wurde wieder kleinräumiger, persönlicher und willkürlicher. Das europäische Mittelalter war nicht „dunkler“ als die Antike davor, es war bunter, chaotischer, vielfältiger, plastischer und irrationaler, als das römische Sklavenhalterimperium. Da effektive zentrale Kontrollinstanzen fehlten, gab es in der Vielfalt kleinräumiger Herrschaftsgebiete auch Nischen. Relativ freie Dorfgemeinschaften, Klöster und andere Ausweichgebiete gab es in großer Zahl. Die patriarchalen Ehe- und Familiendogmen interessierten in vielen Gegenden kaum jemanden. Es lebten auch wieder vorpatriarchale Bräuche auf.       

Als Ersatz für das weströmische Kaiserreich entstand dann ein Bündnis des Bischofs von Rom mit dem fränkischen Königtum zu beiderseitiger Machtentfaltung. Daraus entstanden das heilige Römische Reich deutscher Nation und die politische und militärische Machtbasis des Papsttums. Vom Rest der Welt und erst recht dort noch existierenden matriarchalen Kulturen wusste Europa nichts.

Durch den Kontakt zur arabisch-islamischen Welt in Folge der Kreuzzüge begannen die Dinge, sich zu ändern. Städte wuchsen und wurden neu gegründet. Das Geld wurde wieder wichtiger, der Handel weitete sich aus, Kunst und Wissenschaft wurden in der Renaissance wiederentdeckt. Spätestens im 15. Jahrhundert war das Patriarchat dann wieder voll erwacht und begann, die Gestaltung der Welt neu zu organisieren.“

Gandalf Lipinski: Jenseits des Patriarchats für eine Gesellschaft in Balance. Balance-Broschüre, 2022, S. 20

[10] Zweiter Höhepunkt des Patriarchats: Hexenverfolgung

„Obwohl ab 1360 (= Tiefpunkt des Bevölkerungsniedergangs) an verschiedenen Orten Europas (insbesondere Süddeutschland und der Schweiz) die Hexenverfolgung einsetzte, war noch lange nicht jeder Prediger und Kirchvater von der Gefährlichkeit der Hexen und ihres Tuns überzeugt. Vor 1360 gab es lediglich zwei kirchliche Erlasse zur Hexenverfolgung. 

Nach 1360 gibt es sehr viele kirchliche Dokumente, bis schließlich 1483 die endgültige Klarstellung für die Kleriker kommt. Diese Bulle (kirchliches Gesetz, an das sich alle Kleriker zwingend halten mußten), auch ‚Hexenbulle‘ (genauer Titel: Bullae Apostoliae adversus haeresim maleficarum) genannt, segnet die mittlerweile schon sehr in Gang gekommene, umstrittene Hexenverfolgung ab und ordnet sie für den gesamten kirchlichen Bereich an. Widerspruch dagegen wurde mit dem Tode bestraft. 

Drei Jahre später 1487, erscheint der ’Malleus maleficarum‘, der Hexenhammer als ein quasi – juristischer, theologischer Kommentar zur Hexenbulle. Dieses Buch begründet und koordiniert die Verfolgung und ebnet erst den Weg in den ‚Wahn‘. Der Hexenhammer war eine Art ‚Schlußstein‘ eines Baus, an dem viele Jahrhunderte gebaut und gedacht wurde. 

[…]

Alles was wir heute im sozialen Zusammenleben als die emotionale Kluft zwischen Mann und Frau, aber auch so wesentliche Dinge, wie den Verlust an pflanzlichen Verhütungsmitteln vorfinden,… all das geht auf  Maßnahmen zurück, die der Hexenhammer gewollt und koordiniert hat. Der Hexenhammer war eins der sexualpolitisch bedeutsamsten Bücher des Abendlandes. Die sozialen und moralischen Veränderungen, die das Buch induziert hat, sind mindestens so schwerwiegend, wie die technischen Innovationen, die zur gleichen Zeit auf dem Weg gebracht worden sind und die die Industrialisierung ermöglicht haben. Gleichzeitig ist der Hexenhammer ein Bericht über die Mentalität und die menschlichen Haltungen die ausgerottet werden sollten, zudem lassen sich die emotionalen Strukturen der Verfasser und einem Teil der verantwortlichen herrschenden Schicht erkennen. 

Getragen von akuten sexuellen Minderwertigkeitsgefühlen und Impotenzängsten resümieren die beiden Autoren des Hexenhammers, zwei Dominikanermönche, ‚Wissen‘ und ‚Erkenntnisse‘ vorheriger Gelehrter, die wohl ähnliche Grundgefühle gehabt haben müssen, über das Hexenwesen und formulieren ihren Hauptvorwurf gegen die Frauen: ihre sexuelle Geilheit. Die Autoren des Hexenhammers, Jakob Sprenger und Heinrich Institoris (Kramer) wähnen und phantasieren allen Ernstes einen ursächlichen Zusammenhang zwischen der sexuellen Lust der Frauen und den Übeln der damaligen Welt, wozu dann wahrscheinlich auch ihre sexuelle Impotenz gehörte. 

Alle Frauen seien potentielle Teufelshuren denen der Teufel die Fähigkeit ’Maleficium‘, Schadenzauber zu betreiben, verleiht. Ganz besonders sauer sind die beiden Dominikanermönche auf ‚Ehebrecherinnen, Huren und Konkubinen’. Es seien die, ‚die für die Erfüllung ihrer bösen Lüste mehr entbrennen, als gewöhnliche Weiber‘. Und auf die ‚Hebammen selbst, welche alle anderen an Bosheit übertreffen’. Der damals amtierende unschuldige’ Papst (sein Name war ja ‚Innozenz‘) formulierte in der nun maßgebenden und oben erwähnten Bulle, die Verbrechen, gegen die man nun mit unnachgiebiger Härte zu Felde ziehen sollte, folgendermaßen: 

»Gewißlich ist es neulich nicht ohne große Beschwerung zu unseren Ohren gekommen, daß in einigen Teilen Oberdeutschlands… sehr viele Personen beiderlei Geschlechts, ihrer eigenen Seligkeit vergessend, und von dem katholischen Glauben abfallend, mit den Teufeln, die sich als Männer oder Weiber mit ihnen vermischen, Mißbrauch machen, und mit ihren Zaubertaten, Lieder und Beschwörungen und anderen abscheulichen Aberglauben und zauberische Übertretungen, Laster und Verbrechen, die Geburten der Weiber, die Jungen der Tiere, die Früchte der Erde, verderben, ersticken, und umkommen machen und verursachen, und selbst die Menschen, die Weiber, allerhand groß und klein Vieh und Tiere mit grausamen, sowohl innerlich als äußerlichen Schmerzen und Plagen belegen und peinigen, und eben dieselben Menschen, daß sie nicht zeugen, und die Trauen, daß sie nicht empfangen, und die Männer, daß sie den Weibern, und die Weibern, daß sie denen Männern, die eheliche Werke nicht leisten können‘, (oder wollen: das heißt ‚Unzucht betreiben’ das heißt nicht anziehen wollen von Kindern, = spätere Arbeitskräfte. Unzucht meint vor – und neben – eheliche Genußsexualität, Anmerkung von Ottmar Lattorf) verhindern«. 

Solchermaßen ‚böse‘ Menschen sollte es nun an den Kragen gehen und Sprenger und Institoris, die 3 Jahre später als Verfasser des Hexenhammers auftauchen werden, wurden durch die päpstliche Anordnung (’Bulle’) als Oberinspekteure in Sachen Lustzerstörung, als Inquisitoren gegen das Hexenwesen eingesetzt und ausdrücklich für jede Schandtat autorisiert. Sie selber formulieren im Hexenhammer die Verbrechen, gegen die sie nun mit Mord, Folter und Scheiterhauten Vorgehen, folgendermaßen: 

»erstens, daß sie (die Hexen) die Herzen der Menschen zu außergewöhnlicher Liebe verändern, 

zweitens, daß sie die Zeugungskraft hemmen; (Empfängnisverhütung oder Impotenz verursachen) 

drittens, die zu diesem Akt gehörigen Glieder entfernen; (Impotenzängste) 

viertens, die Menschen durch Gauklerkunst (Zauberkunst) in Tiergestalten verwandeln; 

fünftens, die Zeugungskraf t seitens der weiblichen Wesen vernichten; (Empfängnisverhütung) 

sechstens, Frühgeburten bewirken; 

siebtens, die Kinder den Dämonen opfern; 

abgesehen von den vielen Schädigungen, die sie anderen, Tieren und Eeldfrüchten, zufügen« (Anmerkungen in Klammern von Ottmar Lattorf) 

Ist es nicht erstaunlich, was die Nächstenliebe predigende römische Kirche als ’siebenfache Hexerei’, als Verbrechen brandmarkt und ausrotten läßt?“

Ottmar Lattdorf: Über die Hexenverfolgung – und warum sie noch unverstanden und gleichzeitig wichtig ist, 1997, online, https://archive.org/stream/OttmarLattorfberDieHexenverfolgung.txt, Orthographie wie im Original

– vgl. dazu auch Jakob Sprenger und Heinrich Institoris: Der Hexenhammer, 1923, XXVII-XXVIII & S.75, https://de.wikisource.org/wiki/Der_Hexenhammer_(1923)/Erster_Teil 

– vgl. dazu auch Gunnar Heinson und Otto Steiger: Die Vernichtung der weisen Frauen: Bevölkerungspolitik – Hexenverfolgung – Kinderwelten – Menschenkontrolle, 1985

[11] Kolonialismus & Kapitalismus („Frühglobalisierung“)

„Mit der sogenannten Hexenverfolgung (dem zweiten Höhepunkt in der Patriarchatsentwicklung […]) als nachhaltigem bevölkerungspolitischen Projekt, der Niederschlagung der Bauernrevolutionen, der Entstehung von Nationalstaaten und kolonialer Imperien wurden die Grundlagen für das Gesicht des Europäischen Patriarchats in der Moderne gelegt; der Kapitalismus entsteht.

Die moderne Globalisierung begann mit der fast vollständigen Unterwerfung und langfristigen Integration aller außereuropäischen Kulturen in die Wirtschafts- und Herrschaftsbereiche der europäischen Mächte.“

Gandalf Lipinski: Jenseits des Patriarchats für eine Gesellschaft in Balance. Balance-Broschüre, 2022, S. 20

[12] Aufklärung & Absolutismus

„Das Feudalsystem wurde durch den Absolutismus ersetzt. Aufklärung und aufkommende Wissenschaft wurden von Anfang an und ganz planvoll und klar auch zur Effektivierung und Absicherung der Herrschaft eingesetzt.“

Gandalf Lipinski: Jenseits des Patriarchats für eine Gesellschaft in Balance. Balance-Broschüre, 2022, S. 21

[13] Moderner Nationalstaat als „ideeller Gesamtkapitalist“ und „Diktatur der Bourgeoise“

„Die moderne Staatsgewalt ist nur ein Ausschuß, der die gemeinschaftlichen Geschäfte der ganzen Bourgeoisklasse verwaltet.“ 

[…]

„Die politische Gewalt im eigentlichen Sinn ist die organisierte Gewalt einer Klasse zur Unterdrückung einer anderen.“

Karl Marx / Friedrichs Engels: Manifest der Kommunistischen Partei, 1848, S. 4 & 16, https://www.deutschestextarchiv.de/book/view/marx_manifestws_1848?p=4 

[14] Faschismus

„Faschismus (von italienisch fascio „Bund“) war zunächst die Eigenbezeichnung des Partito Nazionale Fascista (deutsch: National-Faschistische Partei), einer politischen Bewegung, die unter Führung von Benito Mussolini in Italien von 1922 bis 1943/45 die beherrschende politische Macht war und ein diktatorisches Regierungssystem errichtete, den Italienischen Faschismus. 

Ab den 1920er Jahren wurde der Begriff für alle ultranationalistischen, nach dem Führerprinzip organisierten antiliberalen und antimarxistischen Bewegungen, Ideologien oder Herrschaftssysteme verwendet […]. Die Verallgemeinerung des Faschismus-Begriffs von einer zeitlich und national begrenzten Eigenbezeichnung zur Gattungsbezeichnung einer bestimmten Herrschaftsart ist umstritten […].“

Wikipedia: Faschismus, online, https://de.wikipedia.org/wiki/Faschismus

„Faschismus ist die Verschmelzung von Großkapital und Staat“

„Der Faschismus sollte Korporatismus heißen, weil er die perfekte Verschmelzung der Macht von Regierung und Konzernen ist.“

Benito Mussolini

Max Horkheimer (Frankfurter Schule: Theorie des autoritären Charakters) konstatierte am Vorabend des Zweiten Weltkriegs in seiner Analyse des Zusammenhangs von Kapitalismus und Faschismus, dass dieser eine Fortsetzung bzw. Aufrechterhaltung des Kapitalismus mit totalitären Mitteln sei:

„Die totalitäre Ordnung ist nichts anderes als ihre Vorgängerin, die ihre Hemmungen verloren hat. Wie alte Leute zuweilen so böse werden, wie sie im Grunde immer waren, nimmt die Klassenherrschaft am Ende der Epoche die Form der Volksgemeinschaft an.“

[…]

„Wer aber vom Kapitalismus nicht reden will, sollte auch vom Faschismus schweigen.“

Max Horkheimer: Die Juden und Europa, 1939, S. 116 & 115, https://www.kritiknetz.de/images/stories/texte/Zeitschrift_fuer_Sozialforschung_8_1939-40.pdf 

Dimitroff-These

Faschismus als „terroristische Diktatur der am meisten reaktionären, chauvinistischen und imperialistischen Elemente des Finanzkapitals“ definiert. […] Damit war gemeint, dass „bürgerliche Demokratie“ und Faschismus zwei verschiedene Ausprägungen des Kapitalismus seien, diese Herrschaftsformen also auf der gleichen ökonomischen Basis beruhen würden: In dem Moment, in dem der Kapitalismus bedroht sei – etwa durch eine drohende revolutionäre Bewegung, wie in den frühen 1920er Jahren in Italien oder während der Weltwirtschaftskrise in Deutschland –, wandele sich die bürgerliche Demokratie […] zur faschistischen Diktatur, die auch mit brutalsten Mitteln die Kapitalverwertung aufrechterhalte.“ 

– vgl. Wikipedia: Faschismustheorie, online, https://de.wikipedia.org/wiki/Faschismustheorie#Die_Dimitroff-These

[15] Ideologievergleich: Neoliberalismus (autoritäre Extremform des Kapitalismus) und Faschismus, vgl. Rainer Mausfeld: Warum schweigen die Lämmer, 2018, S. 102:

FaschismusNeoliberalismus
Historischer UrsprungHass auf „1789“
„Sozialismus“ und „egalitäre Demokratie“ verkörpert durch Gewerkschaften, Sozialstaatlichkeit,…
Hass auf „1789“
„Sozialismus“ und „egalitäre Demokratie“ verkörpert durch Gewerkschaften, Sozialstaatlichkeit,…
Ideologische BasisSozialdarwinismus
Glorifizierung des Starken
Verachtung des Schwachen

Mythos „Nation/Rasse“
Sozialdarwinismus
Glorifizierung des Starken
Verachtung des Schwachen

Mythos „freier Markt“
Angestrebte gesellschaftl. OrganisationsformHierarchische Elitenorganisation
zutiefst antidemokratisch;
Verachtung für „Volk“
Hierarchische Elitenorganisation
zutiefst antidemokratisch;
Verachtung für „Volk“
Rolle des Individuumshat sich der „Nation“ vollkommen unterzuordnen: „Du bist nichts, dein Volk ist alles“

zielt nicht nur auf Teilaspekte der Organisation einer Gesellschaft, sondern auf totalitäre Formung von Personen
hat sich dem „Markt“ vollkommen unterzuordnen: „Du bist nichts, der Markt ist alles“

zielt nicht nur auf Teilaspekte der Organisation einer Gesellschaft, sondern auf totalitäre Formung von Personen

[16] Zur ungleichen Bezahlung von Männern und Frauen vgl. z.B. Wikipedia: Gender-Pay-Gap, online, https://de.wikipedia.org/wiki/Gender-Pay-Gap#Gender-Income-Gap; Zu Vermögensunterschieden zwischen Männern und Frauen vgl. z.B. ZEIT: Männer besitzen laut Oxfam 50 Prozent mehr Vermögen als Frauen, 20.01.2020, online, https://www.zeit.de/wirtschaft/2020-01/vermoegensverteilung-oxfam-frauen-unbezahlte-arbeit

[17] Studien zur Macht vgl. u.a. Quelle [2] in Nachlese #06

[18] Zur Unausgewogenheit der Wikipedia bei gesellschaftspolitisch relevanten Einträgen, vgl. Markus Fiedler: Die dunkle Seite der Wikipedia, 2016, online, https://www.youtube.com/watch?v=5vdHiPGhIc0; Markus Fiedler: Zensur – die organisierte Manipulation der Wikipedia und anderer Medien, 2017, online, https://www.youtube.com/watch?v=HH-Ym-an2xw; Markus Fiedler / Dirk Pohlmann: Geschichten aus Wikihausen, online, https://wikihausen.de/video-blog/

[19] Die 5 Säulen des Patriarchats

„Um das Patriarchat nicht nur auf den Umgang von Frauen und Männern miteinander zu reduzieren, oder gar sexistisch mit dem Wesen des Mannes erklären zu wollen, müssen wir seine systemische Struktur genauer anschauen. Dieses Herrschaftssystem beruht im Wesentlichen auf fünf zentralen Säulen, die im Folgenden sowohl in der Reihenfolge ihrer Entstehung, wie auch in der Schwere ihrer Bedeutung behandelt werden. Es sind dies:

  • Die patriarchale Paarungs- (heute: Klein-) Familie
  • Der Staat
  • Das Privateigentum (an Lebensgrundlagen)
  • Das Finanzsystem
  • herrschaftssichernde Ideologien“
Gandalf Lipinski: Jenseits des Patriarchats für eine Gesellschaft in Balance. Balance-Broschüre, 2022, S. 22

[20] Erste Säule: Paarungs-/ Kleinfamilie

„[…] die Kleinfamilie ist generell aus mehreren Gründen nicht geeignet, die gesellschaftlichen Funktionen einer mutterrechtlichen Sippe oder auch einer sich ähnlich strukturierenden modernen Gemeinschaft als gesellschaftliche Grundeinheit zu übernehmen. Die Kleinfamilie um das Paar als Kern bürdet in der Regel zwei Fremden auf, gleich zwei fehlende Sippen zu ersetzen und „zu zweit allein“ jedes Mal einen neuen Sozialverband zu begründen. Das haut meistens auch die stärksten Romantiker um.

Zu unseren wichtigsten geistig-seelischen Grundbedürfnissen gehört auf der einen Seite das Bedürfnis nach Zugehörigkeit und Eingebunden sein und auf der anderen Seite das Bedürfnis nach möglichst freier Selbstentfaltung. Die matriarchale Sippe ist stabil und groß genug, beiden Bedürfnissen gerecht zu werden ohne sie ständig gegeneinander in Stellung bringen zu müssen. Die paargestützte Kleinfamilie hingegen ist damit schon strukturell überfordert.

Zum einen ist sie pyramidisch gestaltet, mit, in der Regel, dem Mann, Ehegatten, Vater an der Spitze, der Ehefrau und Mutter, als alles abpufferndem Mittelbau, und den Kindern, die eben erzogen und bevormundet werden. Auch wenn ausnahmsweise die Frau das Sagen hat oder beide sich um ein Gleichgewicht bemühen, bleibt diese Grundstruktur erhalten. Auch die frühere oder heute noch außereuropäische patriarchale Großfamilie war eine pyramidale Paarungsfamilie, auf einen Mann an der Spitze bezogen und die Frauen zur Monogamie verpflichtet. Für die meisten Kinder findet das erste Erleben von Gesellschaft in der Hierarchie der Pyramide und nicht im Kreis der Gleichberechtigten statt. Damit leistet sie den Hauptteil zur Anpassung an das System der Herrschaft.

Als zweites ist sie zu klein, um der wachsenden Vierfachbelastung, der sie heute ausgesetzt ist, sinnvoll entsprechen zu können:

  • Auf der Ebene des Paares werden nun alle Bedürfnisse, die früher an eine ganze Sippe gerichtet werden konnten, auf einen einzigen Partner fokussiert, worunter Eros und Liebe meist als erste zu leiden haben
  • Die Betreuung und Versorgung der Kinder erfordert entweder die hauptberufliche Mutter (selten: Vater), oder das dauerhafte „Sichselbstzerreissen“ beider Eltern zwischen Beruf und Familie, oder die zunehmende Auslagerung an andere, zusätzlich zu bezahlende, gesellschaftliche Institutionen.
  • Die Pflege von Alten und Kranken, die wie die Kinderbetreuung in der matriarchalen Sippe einst von der Gemeinschaft getragen wurde.
  • Ein Einkommen reicht für die meisten schon lange nicht mehr aus, um die Familie zu ernähren, wodurch Frauen unter den Zwang geraten, Hausfrau und erwerbstätig gleichzeitig zu sein. Der Wunsch, beide Sphären auf beide Eltern zu verteilen, schafft oft mehr Probleme, als gelöst werden können und erleichtert den ökonomischen Druck oft kaum.

Dieser Vierfachstress im Kombination lässt die Scheidungsraten natürlich in die Höhe schnellen. Warum die soziale Intelligenz und Kreativität unserer Gesellschaft nicht ausreicht, hier andere, funktionierendere Strukturen zu entwickeln, liegt am geheimen Subtext patriarchaler Herrschaftssicherung:

Die Familie in ihrer jetzigen Form ist die beste Konditionierung, um funktionierende Untertanen zu erziehen und sie basiert auf der Vereinzelung und Ausbeutung der Frau. Die Ehefrau wird aus ihren sozialen Zusammenhängen (die Bemutterung von Müttern durch ihre Schwestern, Tanten und Großmütter war ein matriarchales Grundprinzip) herausgerissen und als Einzelne in das Haus ihres Ehemannes verbannt, wo sie nun die soziale Wärme und Rundumversorgung, der sie selbst entrissen wird, für ihren Mann und die Kinder zu leisten hat.

Kleine Kinder, mit nur einer Frau und einem Mann, die auch noch dauerhaft gestresst wirken, als Rollenvorbildern, können kaum anders, als ihrerseits Macken zu entwickeln. Entweder kopieren sie die ihrer Eltern oder verlieren sich in den abenteuerlichsten Abgrenzungsmanövern. Wo die ausgleichende Funktion anderer Menschen, wie in der Sippe, fehlt, können dabei fast nur gestörte, verängstige oder verunsicherte Individuen entstehen. Seien wir ehrlich, wir erleben den Anstieg der Menschen um uns, die nicht mehr alle Tassen im Schrank und das Herz nicht mehr auf dem rechten Fleck haben, doch täglich. Auch darin ruht ein wichtiger Aspekt der Herrschaftssichung. Vereinzelte, verunsicherte und verängstigte Menschen sind nun mal leichter zu manipulieren als solche, die in ihrem vollen Saft stehen.

Und nicht zuletzt: Frauen und Männer, die ihre ganze Kraft dafür geben, die monogame Ehe und die Kleinfamilie um jeden Preis zu erhalten und gleichzeitig sich all dem Stress der modernen Erwerbsarbeit stellen, kommen wirklich kaum noch zu etwas anderem! Selbstorganisation, Entwicklung von Alternativen Lebensformen und aktive Mitgestaltung neuer gesellschaftlicher Strukturen haben für diese Menschen hinten an zu stehen, gegenüber den Anforderungen eines immer hektischer werdenden Alltags. (da schmunzelt doch das System selbstgefällig.)

Die 68 er hatten zum Teil die destruktive Dysfunktion der Kleinfamilie erkannt und ihre Zerschlagung propagiert, doch unverbindliche WGs und die Fiktion des autonomen Individuums waren keine gangbaren Alternativen.“

Gandalf Lipinski: Jenseits des Patriarchats für eine Gesellschaft in Balance. Balance-Broschüre, 2022, S. 23-24

[21] Zweite Säule: Gemeinschaftssurrogat „Staat“ 

„Bei der Machtübernahme durch die Patriarchate wurden die […] politischen Verhältnisse auf den Kopf gestellt. Die Sieger, Eroberer, die Herrscher organisierten nun die Gesellschaft von oben und von immer zentraleren Ebenen aus. Mag es bei den ersten patriarchalen Stammesgesellschaften noch einen gewissen Ausgleich durch den Fortbestand der älteren Gliederungen gegeben haben, so verlieren diese spätestens bei der Errichtung von Staatsstrukturen ihre Bedeutung.

Erinnern wir uns: Nahezu jede Staatsgründung beruht auf einem Gewaltakt. Die Krieger, Erzwingungsstäbe des Herrschers, Fürsten, Königs, werden zur Aristokratie, zur Schicht des Herrschers und stehen über dem Volk. Natürlich muss das Volk nicht nur den Fürsten, sondern auch mindestens diese eine (später mehr) herrschende Klasse mit ernähren. Militärmacht, wirtschaftliche Ausbeutung und andere Kontrollmechanismen machen das Wesen des Staates aus, der den Anspruch hat, die Menschen seines Gebietes zu regieren. Er verspricht im Gegenzug oft Sicherheit und Ordnung. Das ist das Wesen des Staates, unabhängig von allen Variationen, die der Staat geschichtlich und in verschiedenen Gegenden der Erde hervorgebracht hat.

Seine Hauptaufgabe war es zu allen Zeiten und ist es heute, die Regeln der herrschenden Klasse verbindlich auch für alle anderen durchzusetzen. Dazu gehört ein Wirtschaftssystem, welches den Gewinn und die Privilegien der Herrschenden garantiert und ein militärisch-polizeilich-juristisches Instrumentarium zur Aufrechterhaltung dieser Ordnung. Selbstverständlich gab es und gibt es heute immer wieder auch Situationen, wo die Staatsführung dem Volk Zugeständnisse machen muss, weil sonst die Akzeptanz des Systems gefährdet würde.

Heute hat sich global und monopolistisch der Kapitalismus als Wirtschaftsform und der Nationalstaat als politische Organisation durchgesetzt. Auf dieser Basis variieren nun die verschiedenen Formen der Machtausübung. Bei uns und in einigen anderen Regionen ist es die Form des repräsentativen parlamentarischen Systems. D.h. Der Bundestag beschließt die Gesetze als Repräsentant des Volkes. In einer matriarchalen, in Gemeinschaften gegliederten, sprich: basisdemokratischen Gesellschaft würden die Gesetzesinitiativen von unten entstehen, für größere Zusammenhänge erst durch den Konsens der beteiligten Gliederungen gültig werden und keiner Region von einer Zentrale gegen ihren Willen aufgezwungen werden können.

[…]

Menschen, die seit Generationen (oder Jahrtausenden) keine funktionierenden und sie tragenden Gemeinschaften erleben, neigen dazu, ihre diesbezüglichen Ansprüche nun stattdessen an den Staat zu richten. Es entsteht so etwas wie die Sehnsucht nach einem guten Staat, der die Menschen gegen die Herrschaft schützt. Doch das ist leider eine Projektion, die seinem Zweck diametral widerspricht.

Auch Menschen, die den Kapitalismus nicht nur als eine Wirtschaftsform, sondern als eine Herrschaftsform begriffen haben, streben oft nach einer „guten“ Zentralinstanz über den Mächtigen, nach dem guten Vater Staat. Darum brauchen wir eine tiefere Analyse der Herrschaft selbst, als nur eine reine Kapitalismuskritik. Nicht nur das moderne Gesicht, sondern die zu Grunde liegende Tiefenstruktur gilt es, zu durchschauen, darum betreiben wir Patriarchatsforschung und Patriarchatskritik.“

Gandalf Lipinski: Jenseits des Patriarchats für eine Gesellschaft in Balance. Balance-Broschüre, 2022, S. 25-26

[22] Dritte Säule: Privateigentum (an Lebensgrundlagen)

„Hier[bei] ist nicht persönlicher Besitz und Gebrauch von Alltagsgegenständen gemeint.

Es geht um gemeinsame Lebensgrundlagen wie Boden, Wald, Wasser, Luft, Rohstoffe und, ab einer gewissen Dimension auch, Produktionsmittel. Also um die ökonomischen und ökologischen Grundlagen des „guten Lebens“ für alle.

Zur Erinnerung: privare heißt rauben! Unser heutiges Wirtschaftssystem erlaubt den Raub (und modernere spitzfindigere Aneignungsweisen) der gemeinsamen Lebensgrundlagen durch wenige und zum Nutzen von immer weniger immer Reicheren. Dadurch wird das „gute“ Leben der vielen gefährdet.

Fand diese Aneignung zu Beginn des Patriarchates durch direkte Gewalt statt, so wurde sie durch die strukturelle Gewalt des römischen Rechts verfeinert. Das römische Staats-, Straf- und Zivilrecht bildet bis heute die Grundlage der meisten westlichen Rechtssysteme. Die juristische Fiktion, dass es so etwas wie ein privates Eigentum auf die genannten Lebensgrundlagen geben könne, wird bis heute für wahr gehalten und geglaubt. Sie ist tief im Bewusstsein verankert, auch und gerade bei denen, die eher die Opfer dieser Fiktion sind.

„Die Feinde des Privateigentums wollen Dir Dein Spielzeug, Dein Haus wegnehmen“ propagieren die Verfechter des Privateigentums. In Wirklichkeit stehlen die Eigentümer an Lebensgrundlagen diese den Gemeinschaften und Gemeinden.

In Wirklichkeit brauchen wir zur Lebensabsicherung die Teilhabe an den gemeinsamen Grundlagen, den Zugang und das Nutzungsrecht. Wo dies nicht mehr in der Entscheidungsmacht der Gemeinschaften liegt, pervertiert der Privatbesitz das vorsorgende Denken: „Ich brauche genug Geld, einen Rechtstitel an Grund und Boden, um mich und meine Familie durch Privatbesitz abzusichern. Das muss ich mir privat erkämpfen und gegen Konkurrenten verteidigen.“ So lange an dieser Fiktion festgehalten wird, bleiben Gemeinschaftsbesitz und eine gemeinsame Ökonomie, die dem Gemeinwohl und der Natur verpflichtet ist, eher die Ausnahmen und auf kleine Nischen beschränkt.

Da der Erwerb von Privateigentum nicht nur durch das Recht, sondern auch und vor allem durch das Kapital geregelt wird, kommen wir mit dem Geld zur vierten Säule des Patriarchates.“

Gandalf Lipinski: Jenseits des Patriarchats für eine Gesellschaft in Balance. Balance-Broschüre, 2022, S. 26-27

[23] Vierte Säule: „Geld“ und „Finanzsystem“

„Die Geschichte des Patriarchates ist auch die Geschichte der Zerstörung der Gemeinschaften. Wir haben schon davon gesprochen, dass Menschen beim Wegfall ihrer Gemeinschaften einen Großteil ihrer einst von diesen geregelten Bedürfnisse nun an den Staat richteten. Oder wirtschaftlich gesprochen: neben der Zentralinstanz Staat treten nun zunehmend Märkte an die Stelle der Gemeinschaften. 

Nicht umsonst ist in den modernen Gemeinschaftsökonomiedebatten von anarchistischer Seite die Parole aufgetaucht „Für Gemeinschaften statt für die Märkte produzieren!“ Hier ist nicht der Raum, Geschichte und Funktion von Märkten differenzierter darzustellen. Auf jeden Fall sind sie viel älter als der Kapitalismus und keineswegs pauschal mit diesem gleichzusetzen. In diesem Kontext geht es nur darum, dass sie in der Regel etwas benötigen, was in der matriarchalen Zivilisation so gut wie keine Rolle spielte, nämlich Geld.

Für all das, was bei einer wegfallenden Gemeinschaftskultur nun fehlt gibt es in der Geschichte des Patriarchates nun hauptsächlich zwei Surrogate. Entweder den Ruf nach „Vater Staat“ oder die neoliberale Variante: alle Komponenten der Lebensvorsorge muss man sich nun „einkaufen“.

Nach zwei verheerenden Weltkriegen und vor dem Hintergrund des beginnenden „kalten Krieges“ entsteht in vielen bürgerlichen Demokratien des Westens in der Mitte des 20. Jhdt. das Konzept des „Wohlfahrtsstaates“ oder der „sozialen Marktwirtschaft“. Mit dieser Variante eines „gezähmten“ Kapitalismus sollte unter anderem demonstriert werden, dass es auch dem einfachen Arbeiter im Westen besser gehe als im östlichen Staatssozialismus. Und für viele hat es auch rund dreißig und mehr Jahre gut funktioniert.

[…]

Fakt ist: ab den 80ern zieht der Kapitalismus den Samtbezug wieder von den Zähnen und in immer mehr Lebensbereichen zischt es immer unverhohlener aus dem Raubtiergebiss: „Geld! Macht Geld! Macht mehr Geld!“

War in der sozialen Marktwirtschaft für kurze Zeit das Ideal entstanden, man könne von einer Arbeit leben, die den eigenen Neigungen, dem tatsächlichen Können und einem sinnhaften Beitrag zum Gemeinwohl entsprach, so hieß es jetzt wieder ganz ungeschminkt: „Hauptsache, Du holst genug Geld rein, um alles was Du für Dein Leben und deine Familie brauchst, kaufen zu können, auch wenn Dir Deine Arbeit nicht gefällt, Du sie eigentlich nicht kannst, und das, was du machst, niemand wirklich braucht. Du arbeitest hauptsächlich, um Geld zu verdienen.“

Das Geld ist mindestens zehnmal so alt wie der Kapitalismus. Es diente den Mächtigen schon in fast allen Herrschaftsvarianten zur Vergrößerung und Absicherung ihrer Macht. Doch nicht das Geld an sich ist unser aktuelles Problem, sondern das verrechtlichte Finanzsystem, wie es heute organisiert ist.

Unser derzeitiges globales Finanzsystem ist eine gigantische, Sucht und Abhängigkeit erzeugende Megamaschine zur Umverteilung gesellschaftlichen Reichtums von unten nach oben. Es basiert auf der Geldschöpfung durch private Banken, auf Zins und Zinseszins zur Steigerung des privaten Gewinns.

In den Anfangsphasen des Kapitalismus war noch die Akkumulation von immer mehr Kapital und Produktionsmitteln in den Händen weniger das Hauptproblem. Heute hat sich das Geld von einem Hilfsmittel der Wirtschaft zum alles entscheidenden Wirtschaftssektor gemausert. Statt der Realwirtschaft zu dienen, die dann wieder den Menschen zu dienen hat, sieht es heute umgekehrt aus: Wir Menschen haben einer Wirtschaft zu dienen, die nicht mehr den Menschen und dem Gemeinwohl dient, sondern in zunehmendem Maße die Wünsche des Kapitals zu befriedigen hat.

Wir können diese heutige Phase des kapitalistischen Patriarchats auch noch deutlicher benennen: Plutokratie ! (= die Herrschaft des Geldes). Diese ist in einem globalen Siegeszug begriffen, völlig unabhängig davon, wie die politische Fassade offiziell jeweils aussieht. Auch unser repräsentativ-parlamentarisches System in Deutschland bewahrt uns nicht davor.

Früher waren dies die Hauptfunktionen des Geldes: Tauschmittel, Mittel zur Wertbestimmung und Wertaufbewahrung. Doch da es keinem natürlichen Verfall unterliegt, wird es heute noch auf ganz andere Weise genutzt: es ist selbst zur Ware geworden, zu einer, die durch ihre konkurrenzlose Unsterblichkeit begonnen hat, alle anderen zu dominieren. 98 % des täglichen globalen Geldumlaufs sind dem Handel mit Geld geschuldet, nur noch 2 % haben etwas mit realen Wirtschaftsgütern oder Dienstleistungen zu tun. Wirtschafts- und Finanzkrisen entspringen in erster Linie dem Handel mit Derivaten und anderen „Finanzprodukten“.

Das Zinssystem war noch relativ einfach zu verstehen: „Ich habe zwei Würste im Kühlschrank, von denen ich nur eine essen kann. Du hast Hunger und keine Wurst. Also leihe ich dir eine Wurst, du musst mir aber monatlich zwei Scheibchen davon zurückgeben und am Ende des Jahres die ganze Wurst.“ Wenn dieser lebensferne Unsinn rechtlich abgesichert wird, ist es klar: Geld ist ein Herrschaftsmittel!

Obwohl der Fluss des Geldes zunehmend von der Wirklichkeit entkoppelt wird, wird es für real gehalten. Immer mehr Geld fließt aus der öffentlichen Hand in den Besitz der großen Finanzbeweger. Immer mehr real Notwendiges wird dadurch immer weniger finanzierbar. Die Politiker benennen diesen Ausverkauf ihrer Möglichkeiten dann als Systemzwänge, fehlende Machbarkeit und Alternativlosigkeit.

Geld wird zunehmend nur noch in Maßnahmen investiert, die eine hohe Rendite erwarten lassen. Dadurch werden schließlich auch alle menschlichen Bedürfnisse in Märkte umgelogen. Menschliche Zuneigung, sei es im Kindergarten, Altersheim, Krankenhaus oder Bordell wird zur Dienstleistung, bekommt immer mehr Warencharakter und wird schließlich zum „Produkt“. Wer sich diese Produkte nicht kaufen kann, bekommt sie auch nicht mehr.“

Gandalf Lipinski: Jenseits des Patriarchats für eine Gesellschaft in Balance. Balance-Broschüre, 2022, S. 27-29

[24] Fünfte Säule: Herrschaftssichernde Ideologien

„[…] Ideologien sind die Stützpunkte und Verbündeten der Herrschaft in unserem Inneren, in unserem Bewusstsein. Es sind Glaubenssysteme, Religionen, Weisheitslehren, aber auch Wissenschaften, esoterische, ökonomische und politische Konzepte, die die patriarchale Grundordnung der Pyramidenhierarchie, die Herrschaft von Menschen über Menschen, teils ganz offen, teils aber auch fast unmerklich in unser Denken „einschmiegen“. Sie stellen das System der Herrschaft als ursprünglich, gottgewollt, ewig oder natürlich dar und stützen es damit als unhinterfragbar ab.

Jede dieser Ideologien war die Folge einer (meist gewaltsamen) Veränderung im Außen, die diese dann im Nachhinein rechtfertigen, absichern und in unsere Herzen und Hirne einpflanzen sollte. Die Götter folgten den Reiterkriegern, nicht umgekehrt!

Es begann mit der Erfindung der Götter nach der Machtergreifung des Patriarchats. Man braucht sie, um den Aufstieg von Fürsten zu Gottkönigen zu erklären und die Akzeptanz einer Priesterkaste zu erhöhen, die nun neben dem Kriegeradel zur zweiten privilegierten Klasse aufsteigt und die Verwaltung des Staates zu besorgen hat. Noch gibt es im immer männlicher werdenden Pantheon ein paar Göttinnen und die Mutter der Götter. Dann ermordet im sumerischen Mythos der Gott Marduk seine Mutter Tiamat und wird König der Götter. Der Weg von diesem zum alleinigen Gott folgt der Entstehung von Stadtstaaten, Staaten und Reichen. Herrscher und ihre Priester passen die Himmelshierarchien geschickt den politischen Erfordernissen an.

Zwei große Reformimpulse scheitern letztlich. Buddha und Jesus können wir auch als zwei Menschen sehen, die gewissermaßen systemimmanent anstreben, den Menschen wenigstens geistig-seelisch durch Erkenntnis bzw. Liebe Linderung zu verschaffen. Beide Ansätze aber können das System der Herrschaft nicht ernsthaft erschüttern und werden im Laufe der Geschichte integriert. Das Urchristentum ist noch einige Jahrhunderte die Religion der Frauen und Sklaven. Doch im 4./5. Jahrhundert wird die christliche Kirche zum Teil des Herrschaftsapparates. Als Staatskirche ist sie nicht nur für die Rechtfertigung der Herrschaft zuständig, sie wird sogar selbst zu einer herrschenden Macht.

Zum Beginn der Neuzeit dient die katholische Kirche noch zur Rechtfertigung des Absolutismus, die ideologischen Notwendigkeiten des Kapitalismus hingegen kann sie nicht ausreichend bedienen. Um diesen ideologisch zu unterstützen, braucht es den Protestantismus. Fast zeitgleich treten dabei auch die Wissenschaften und die Esoterik auf den Plan. Die Deutungshoheit über die Welt und die Wahrheit geht zunehmend auf diese über. Doch auch die Wissenschaft ist oft genauso hermetisch organisiert wie die Kirche. Andersgläubige werden durch sie nicht mehr verbrannt, aber mit subtileren Methoden an den Rand der Gesellschaft gedrängt. War einst die Philosophie die Leitwissenschaft, so wurde diese Rolle später von der Mathematik und Physik übernommen, bis sie heute bei den Betriebs- und Finanzwissenschaften liegt, gegen deren Dogmen kaum jemand auf zu begehren wagt.

In der französischen und den folgenden Revolutionen wird schließlich die Vernunft selbst oder, noch unverhüllter, der Staat als Abstraktum mit religiösen Weihen und Kulten geadelt. Von der inoffiziellen globalen Weltreligion sprachen wir schon: dem Glauben an den Gott Mammon! Wir glauben an die Allmacht des Geldes, seine jungfräuliche Selbstvermehrung und bauen seinen modernen Tempeln ähnliche Fassaden wie dem Zeus in Athen.

Neben den Mainstreamideologien haben wir heute noch jede Menge esoterischer und psychologischer Heilslehren, die im Prinzip nach dem gleichen Muster strukturiert sind: Im Jenseits, endlich oben im Licht oder unterstützt durch erdferne Himmelshierarchien könnten wir endlich Frieden finden, Hauptsache wir verschwenden unsere Kräfte nicht mit dem sinnlosen Bemühen, die Herrschaft auf Erden zu überwinden! „Ich aber sage Euch:“ Jeder, der so spricht, hat etwas zu verbergen.

Ideologisches Kernstück des Patriarchates ist schließlich sein alchemistischer Charakter. Der moderne Fortschrittsglaube gründet sich auf ihm. Es geht immer wieder darum, natürlich gewachsene und funktionierende Zusammenhänge nachhaltig zu zerstören, vorgeblich um neue, künstlichere und bessere Systeme dafür zu installieren. In der Regel funktioniert das neue aber meistens schlechter, ist teurer, und nutzt hauptsächlich denen, die es durchdrücken.

Zur Agenda der heraufziehenden transhumanistischen Ära gehören unter anderem: Die Verlagerung von immer mehr Lebensbereichen in den digitalen Raum, die Effektivierung des Regierens durch immer mehr Kontrolle und andere totalitäre Komponenten, die Bargeldabschaffung und die Spaltung der Gesellschaft in immer mehr einander misstrauende Milieus.

Gandalf Lipinski: Jenseits des Patriarchats für eine Gesellschaft in Balance. Balance-Broschüre, 2022, S. 29-31

[25] Gender Studies in Deutschland

„Im Sommersemester 2023 gab es insgesamt 173 Professuren an deutschen Hochschulen über eine Voll- oder Teildenomination in der Frauen- und/oder Geschlechterforschung.“

FAZ: Wie weit sind „Gender Studies“ in Deutschland verbreitet?, 10.07.2023, online, https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/gender-studies-forscher-brauchen-distanz-zum-forschungsobjekt-19023608.html 

– vgl. auch Wissenschaftlicher Dienst des Bundestages: Genderprofessuren an Universitäten und Fachhochschulen in Deutschland, 2018, S. 14online, https://www.bundestag.de/resource/blob/543796/86640a45784306b0656a860f2c0dce57/WD-8-007-18-pdf-data.pdf

„Während nach Angaben des Hochschulverbandes von 1995 bis 2005 in Deutschland 663 Professorenstellen in den Sprach- und Kulturwissenschaften eingespart wurden, zeigt sich beispielsweise das größte Bundesland Nordrhein-Westfalen für die Gender-Studies höchst großzügig. In den Jahren 1986 bis 1999 wurden dort an 21 Hochschulen 40 Professuren für das „Netzwerk Frauenforschung NRW“ neu geschaffen, darunter auch eine für „feministische Ökonomie“ in Münster. 

[…]

Die Akteure der Gender-Studies verwischen den Unterschied zwischen der politischen Forderung nach Gleichheit und den Inhalten der Wissenschaft. […] Kritiker der Gender-Ideologie haben an den Universitäten keine Chance, so dass eine von der Gender-Theorie unabhängige Geschlechterforschung fast nicht existiert. „Es läuft alles über die Gender-Geldtöpfe. Wer sich nicht einklinkt, bleibt draußen“, sagt Susanne Kummer vom Institut für medizinische Anthropologie und Bioethik in Wien. […]

Wenn Gender-Forscher sich mit Naturwissenschaften befassen, dann interessieren sie meist weniger die bedeutenden Erkenntnisse von Biologie und Medizin über die Unterschiede der Geschlechter. Diese entkräften schließlich die Ausgangsthese der Gender-Studies und stellen somit ihre Disziplin als solche in Frage.“

Handelsblatt: Gender Studies: Feministinnen erforschen sich selbst, 19.09.2007, https://www.handelsblatt.com/technik/forschung-innovation/gender-studies-feministinnen-erforschen-sich-selbst/2863394.html 

– vgl. dazu auch Folge #01 – Geschlechter inkl. Quellen

[26] Zur Gender-Theorie von Judith Butler vgl. Wikipedia: Das Unbehagen der Geschlechter, online, https://de.wikipedia.org/wiki/Das_Unbehagen_der_Geschlechter

[27] Ökofeminismus vs. Queer-Feminismus (Identity politics)

„Der Ökofeminismus verknüpft ökologische und feministische Fragen miteinander und fordert als Bewegung einen umfassenden Systemwandel. Im Ökofeminismus wird untersucht, wie die Ausbeutung von Frauen […] mit der Zerstörung der Natur zusammenhängen. Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass Kapitalismus und Patriarchat ineinander verschränkt sind, wodurch Herrschaftsverhältnisse erhalten
bleiben. Diese können nur durch einen weitreichenden Strukturwandel überwunden werden. Das Ziel: Es sollen nicht nur Frauen, sondern alle Menschen aus diesen Herrschaftsverhältnissen befreit werden.“

Löwenzahn: Ökofeminismus: Was steckt hinter dem Begriff?, 04.05.2022, online, https://www.loewenzahn.at/magazin/oekofeminismus/

„Identitätspolitik (englisch identity politics) bezeichnet eine Zuschreibung für politisches Handeln, bei der Bedürfnisse einer spezifischen Gruppe von Menschen im Mittelpunkt stehen. Angestrebt werden höhere Anerkennung der Gruppe, die Verbesserung ihrer gesellschaftlichen Position und die Stärkung ihres Einflusses. Um die Mitglieder einer solchen Gruppe zu identifizieren, werden kulturelle, ethnische, soziale oder sexuelle Merkmale verwendet.“

Wikipedia: Identitätspolitik, online, https://de.wikipedia.org/wiki/Identitätspolitik

[28] Auswege

Als wesentliche Grundlage einer nachhaltigen Überwindung der Herrschaft von Menschen über Menschen sehen wir die substantielle Gleichberechtigung von Frauen und Männern an. Diese kann jedoch nicht darin bestehen, dass Frauen genötigt werden, sich den gegenwärtigen Herrschaftsstrukturen oder männlich geprägten Verhaltensformen möglichst perfekt – und zum Teil gegen ihr eigenes Inneres oder gar ihre biologische Realität – anzupassen. Statt Frauen auf den Aufstieg im Patriarchat zu orientieren, streben wir den gemeinsamen Ausstieg von Frauen und Männern aus dem Patriarchat an.

Wir anerkennen, dass auch der weitaus größte Teil der Männer unter dem Patriarchat leidet und sich nicht frei entfalten kann. Auch das Aufwachsen und die Lebensbedingungen von Kindern sowie ein Altern und Sterben in Würde und im Rahmen funktionierender Gemeinschaften sind unter patriarchalen Bedingungen nur in Ausnahmefällen möglich, ebenso ein lebensdienlicher Umgang mit der Erde und der nichtmenschlichen Mitwelt. Aus all dem folgern wir, dass ein Ausstieg aus den herrschenden Verhältnissen sich nicht auf die Kritik am gegenwärtigen globalisierten Kapitalismus reduzieren kann sondern stets auch die Tiefendimensionen der darunterliegenden patriarchalen Zivilisation erkennen und benennen muss.“

Gandalf Lipinski: Jenseits des Patriarchats für eine Gesellschaft in Balance. Balance-Broschüre, 2022, S. 3

„Wir können diesem ganzen Themenfeld nur angemessen begegnen, wenn wir Freundschaften pflegen und als Gemeinschaften wieder zusammenkommen. Denn wir stehen vor einer dreifachen Herausforderung, zu deren Lösung die Matriarchatsforschung und die Patriarchatskritik die zentralen Schlüssel sind. Auf die Frage: „Und was machen wir nun mit diesem ganzen Wissen?“ können wir beim heutigen Stand drei Antworten geben:

1.) es vertiefen und ausbauen! Es kann nämlich zum Erhalt oder der Rückholung unserer individuellen geistig- seelischen Gesundheit beitragen. Da wir in einer Zeit zunehmender Orientierungslosigkeit, Desinformation und Fake-News leben und außerdem viele von uns oft denken „Warum kriege ausgerechnet ich das nicht hin? Was ist an mir verkehrt?“, kann es gesund und hilfreich sein, mal wieder den Blick über den Tellerrand der subjektiven Wahrnehmung hinaus und auf die Welt zu richten. Wo sind wir hier eigentlich und was ist hier wirklich gerade los? Dazu kann uns das Wissen hilfreich sein. Diesen Weg kann jeder von uns einschlagen, individuell und sofort.

2.) mit diesem Wissen und um dieses Wissen herum Gemeinschaften aufbauen. Langfristig werden wir als Menschheit nicht darum herumkommen, wieder nachhaltig funktionierende Lebensgemeinschaften im Sinne der Prinzipien matriarchaler Sippen zu entwickeln. (Achtung Falle! Es geht nicht darum, sie in allen Details zu kopieren, das ist historisch wohl unmöglich. Es geht darum, ihre Essenz zu verstehen und in unsere moderne Lebenswelt zu übersetzen!)

Doch nicht alle von uns werden sich an einem solchen intensiven und herausfordernden Prozess beteiligen wollen oder können. Dann darf es auch eine Nummer kleiner sein: Lesekreise bilden, die das Wissen gemeinsam vertiefen. Frauen- und Männergruppen bilden, die, mal getrennt, mal gemeinsam, am persönlichen Bezug zum Themenfeld arbeiten. Oder, wie wir es tun, andere Gruppen aufbauen, wie z.B. unseren Bildungsverein.

3.) das Wissen in größere Zusammenhänge tragen. Das ist unverzichtbar, wenn auch die wenigsten von uns dazu sofort den Mut, die Kraft und die Zeit dazu aufbringen können, sich in politischen Zusammenhängen einzubringen. Damit sind nicht in erster Linie Parteien gemeint sondern Initiativen und Netzwerke, die im Sinne von „Wie wir wirklich leben wollen“ eine demokratische Gesellschaftsgestaltung von unten fokussieren. Einige unserer Vorstands-Mitglieder sind zum Beispiel in diesem Sinne engagiert bei der Regionalen Charta-Initiative (RCI) Kassel, Werra-Meißner, Göttingen, einer Initiative, die an der Entwicklung einer zeitgemäßen Basisdemokratie arbeitet.

Etwas ganz ähnliches, wenn auch unter verschärften Bürgerkriegsbedingungen, geschieht gerade im Nordosten von Syrien, wo Kurden und in vorderster Front Kurdinnen einen demokratischen Konföderalismus aufbauen, der Basisdemokratie mit ökologischen Prinzipien und dem Ausstieg aus dem Patriarchat verbindet.

In der Bildungsarbeit unseres Vereins geht es immer wieder um die dreifache Erinnerung.

1.) diementale Erinnerung: das verlorene Wissen um unsere kollektive Vergangenheit ausgraben und mit diesem Hintergrund die Geschichte und unsere Gegenwart besser verstehen. Dazu brauchen wir die Matriarchatsforschung und die kritische Patriarchatstheorie.

2.) diekörperliche und emotionale Erinnerung: die Berührungspunkte der eigenen Person anschauen und besser verstehen lernen, die durch die beiden verschiedenen Zivilisationen in uns eingebaut und getriggert werden. Dazu brauchen wir verbindliche Gruppenzusammenhänge und Zeit miteinander.

3.) diegeistig-spirituelle Tiefenerinnerung: die kollektiven Schmerz- und Sehnsuchtsfelder erforschen, die in unseren Vorfahren angeklungen sind, in uns nachhallen und uns mit den Kommenden verbinden. Daraus entsteht eine Kraft, die uns auch dunkle und scheinbar aussichtslose Zeiten überstehen hilft. Dazu brauchen wir Ritualarbeit und intensivere mehrtägige gemeinsame Auszeiten.“

Gandalf Lipinski: Jenseits des Patriarchats für eine Gesellschaft in Balance. Balance-Broschüre, 2022, S. 32-33

[29] Bedeutung dieses Wissens für die Realisierung von Demokratie

„Demokratie […] wird eine Wiederbelebung sein […] der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit der alten mutterrechtlichen Sippen.“ 

Friedrich Engels zitiert Morgan in: Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats, 1884, S. 173, online, http://www.mlwerke.de/me/me21/me21_152.htm 

[30] Quellen-Empfehlungen von Gandalf Lipinski zur Folge »Patriarchat«, benannt:

  • Heide Göttner Abendroth: Das Matriarchat III – Geschichte matriarchaler Gesellschaften und Entstehung des Patriarchats. Band III: Westasien und Europa, 2019 [Hauptwerk – „Tomatensoße“]
  • Heide Göttner Abendroth: Das Matriarchat I: Geschichte seiner Erforschung, 2010
  • Claudia von Werlhof: West-End: Das Scheitern der Moderne als »kapitalistisches Patriarchat« und die Logik der Alternativen, 2010
  • Claudia von Werlhof: Die Verkehrung: Das Projekt des Patriarchats und das Gender-Dilemma, 2011
  • Gunnar Heinson und Otto Steiger: Die Vernichtung der weisen Frauen: Bevölkerungspolitik – Hexenverfolgung – Kinderwelten – Menschenkontrolle, 1985
  • Michael Genner: Spartakus, 1979
  • Gerhard Bott: Die Entstehung der Götter, 2009
  • Otto Mainzer: Die sexuelle Zwangswirtschaft. Ein erotisches Manifest, 2010
  • Manuela Schon: Raus aus dem Genderkäfig. Der Kampf um Frauenbefreiung im 21. Jahrhundert, 2023

Weitere Empfehlungen

  • Claudia von Werlhof: Der unerkannte Kern der Krise: Die Moderne als Er-Schöpfung der Welt, 2012
  • Friedrichs Engels: Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats, 1884
  • Ernest Bornemann: Das Patriarchat: Ursprung und Zukunft unseres Gesellschaftssystems, 2015
  • Bernd Hercksen: Vom Urpatriarchat zum globalen Crash?: Der Aufstieg einer verkehrten Welt und die Suche nach der richtigen, 2010
  • Maria Mies: Patriarchat und Kapital, 2015
  • Marian Irene Tazi-Preve: Das Versagen der Kleinfamilie: Kapitalismus, Liebe und der Staat, 2018

Mit <3 recherchiert und publiziert

MARIUS